Gewässerbewertung gemäß Wasserrahmenrichtlinie

„Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss.“

Dieser erste Erwägungsgrund der im Dezember 2000 in allen Mitgliedsstaaten in Kraft getretenen Europäischen Wasserrahmenrichtlinie stellt einen neuen Leitsatz zur Bewertung und Bewirtschaftung der Gewässer dar. Mit der Richtlinie soll die Qualität des Grundwassers und der Zustand aller Oberflächengewässer – Flüsse, Seen, Übergangs- und Küstengewässer – für kommende Generationen erhalten und verbessert werden.

Damit stehen Ökologie und die natürliche Funktionsfähigkeit der Gewässer zwar erstmals im Vordergrund, allerdings ohne, dass die Nutzung der Gewässer z. B. zur Trinkwasserversorgung oder als Schifffahrtstraßen damit einschränkt, denn ökologische Belange und die gleichzeitige Nutzung der Gewässer durch den Menschen sind die Grundlage für eine nachhaltige Bewirtschaftung gemäß Wasserrahmenrichtlinie.

Konkretes Ziel ist die Erreichung des guten chemischen und ökologischen Zustands für die natürlichen Oberflächengewässer bzw. das gute ökologische Potenzial für die erheblich veränderten (HMWB) und künstlichen Gewässer (AWB) bis 2015 und nach Verlängerung bis 2027.

Ökologischer Zustand bzw. Potenzial

Die Einstufung des ökologischen Zustands bzw. Potenzials der Flüsse, Seen, Übergangs- und Küstengewässer erfolgt über sogenannte biologische Qualitätskomponenten der Gewässerflora und -fauna. Die im Wasser lebenden Fische, Wirbellosen, Phytoplankton und sonstige Gewässerflora sind gute Indikatoren, um über die Qualität der Gewässer Aussagen machen zu können. Für alle Organismengruppen wird daher die Artenzusammensetzung und Artenhäufigkeit (Abundanz) erfasst und bewertet, bei den Fischen zusätzlich noch die Altersstruktur der Lebensgemeinschaft und beim Phytoplankton die Biomasse. Welche Organismengruppen i. d. R. in welcher Gewässerkategorie zur Bewertung herangezogen wird, ist in der Tabelle 1 zusammengestellt.


Tab. 1: Die biologischen Qualitätskomponenten der verschiedenen Gewässerkategorien (F = Flüsse, S = Seen, Ü = Übergangsgewässer und K = Küstengewässer).

Gewässerkategorie

Gruppe

Biologische Qualitätskomponente

Parameter

F

S

Ü

K

X

X

X

X

Gewässerflora

Phytoplankton

Artenzusammensetzung,
Biomasse

X

X

Großalgen oder Angiospermen

Artenzusammensetzung,
Artenhäufigkeit

X

X

 

Makrophyten / Phytobenthos

Artenzusammensetzung,
Artenhäufigkeit

X

X

X

X

Gewässerfauna

Benthische wirbellose Fauna

Artenzusammensetzung,
Artenhäufigkeit,

X

X

X

Fischfauna

Artenzusammensetzung, Artenhäufigkeit, Altersstruktur

Die Bewertung erfolgt in fünf Klassen: Klasse 1 = sehr gut, Klasse 2 = gut, Klasse 3= mäßig, Klasse 4 = unbefriedigend und Klasse 5 = schlecht (Tab. 2). Die Einstufung in eine der Zustandsklassen erfolgt danach, wie stark die aktuelle Qualität eines Gewässers von der durch menschliche Einflüsse unbeeinträchtigten Gewässerqualität abweicht. Diese beste Klasse 1 wird auch als sehr guter ökologischer Zustand oder Referenzbedingung bezeichnet. Da sich die Gewässer in verschiedenen Naturräumen stark unterscheiden und damit natürlicherweise ganz verschiedene Lebensgemeinschaften aufweisen, werden die Gewässer innerhalb einer Gewässerkategorie für die Bewertung und Bewirtschaftung in Typen eingeteilt.

Dabei erfolgt die Einstufung des ökologischen Zustands anhand des schlechtesten Ergebnisses, mit der eine der für die jeweilige Gewässerkategorie relevante Qualitätskomponente bewertet wurde. Wurden zum Beispiel in einem Fluss die wirbellosen Tiere und die Makrophyten mit gut bewertet, die Fischfauna dagegen nur mit mäßig, ist der ökologische Zustand des Flusses insgesamt nur mäßig.

Das angestrebte Umweltziel ist der „gute ökologische Zustand“ bzw. das „gute ökologische Potenzial“. Beim Verfehlen dieser Ziele sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Für Renaturierungsprojekte in Fließgewässern hat das Umweltbundesamt eine Onlineplattform mit Informationen für potenzielle Maßnahmenträger eingerichtet.

Die aktuelle Bewertung aller berichtspflichtigen Gewässer – Zustands- bzw. Potenzialbewertung sowie die Bewertung einzelner biologischer Qualitätskomponenten – kann hier abgerufen werden.

Weitere Informationen zum Zustand der Gewässer in Deutschland finden Sie in der aktuellen UBA-Broschüre "Die Wasserrahmenrichtlinie - Gewässer in Deutschland 2021. Fortschritte und Herausforderungen (2022)". Einen Überblick über vorherige Bewertungsergebnisse gemäß WRRL bieten „Gewässer in Deutschland – Zustand und Bewertung“ (2017) und „Die Wasserrahmenrichtlinie – Deutschlands Gewässer 2015“.

Tab. 2: Allgemeine Einstufungskriterien für den Zustand von Flüssen, Seen, Übergangs- und Küstengewässern.

Sehr gut

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässers entsprechen denen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Typ einhergehen, und zeigen keine oder nur sehr geringfügige Abweichungen an (Referenzbedingungen). Die typspezifischen Referenzbedingungen sind erfüllt und die typspezifischen Gemeinschaften sind vorhanden.
Es sind bei dem jeweiligen Oberflächengewässertyp keine oder nur sehr geringfügige anthropogene Änderungen der Werte für die physikalisch-chemischen und hydromorphologischen Qualitätskomponenten gegenüber den Werten zu verzeichnen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit diesem Typ einhergehen (Referenzbedingungen).

Gut

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässertyps oberirdischer Gewässer zeigen geringe anthropogene Abweichungen an, weichen aber nur in geringem Maße von den Werten ab, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen (Referenzbedingungen).

Mäßig

Die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des Oberflächengewässertyps weichen mäßig von den Werten ab, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen. Die Werte geben Hinweise auf mäßige anthropogene Abweichungen und weisen signifikant stärkere Störungen auf, als dies unter den Bedingungen des guten Zustands der Fall ist.

Unbefriedigend

Gewässer, bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps stärkere Veränderungen aufweisen und die Biozönosen erheblich von denen abweichen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen, werden als unbefriedigend eingestuft.

Schlecht

Gewässer, bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps erhebliche Veränderungen aufweisen und große Teile der Biozönosen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächengewässertyp einhergehen, fehlen, werden als schlecht eingestuft.

Neben den biologischen Qualitätskomponenten werden weitere unterstützender Qualitätskomponenten, darunter allgemeine physikalisch-chemische oder morphologische Parameter, zur Einstufung herangezogen. Sie dienen zur Plausibilisierung und Interpretation der biologischen Bewertungsergebnisse.

Zur Umsetzung der Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie sind für alle Gewässerkategorien entsprechende Grundlagen und Verfahren zur Bewertung entwickelt worden. Dazu zählen z. B.

  • die Gewässertypologien und Ausweisung der Typen in Gewässertypenkarten als Grundlage der typspezifischen Bewertung
  • die biologischen Bewertungsverfahren, die neben den eigentlichen Bewertungs- bzw. Berechnungsverfahren (z. T. in Form von Software) auch Probenahme- und Bestimmungsvorgaben umfassen sowie
  • die Verfahren zur Bewertung der unterstützenden Qualitätskomponenten

Chemischer Zustand

Für die Einstufung des chemischen Zustands sind EU-weit Umweltqualitätsnormen in der Richtlinie 2008/105/EG (UQN-Richtlinie) festgelegt worden (Tabelle UQN). In Deutschland wird Nitrat mit einem Aktionswert aus der Nitratrichtlinie (91/676/EG) für die Einstufung hinzugenommen. 

Die Umweltqualitätsnormen (UQN) berücksichtigen den Schutz der Gewässerorganismen (einschließlich Anreicherung in der Nahrungskette) und der menschlichen Gesundheit. Aus den Meereskonventionen stammt das Ziel, die Einträge von prioritär gefährlichen Stoffen innerhalb einer Generation zu beenden („phasing out“).

Die Regelungen der UQN-Richtlinie (novelliert durch 2013/39/EU) und der Nitratrichtlinie 91/676/EG hat der deutsche Gesetzgeber 2016 in die Oberflächengewässerverordnung übernommen. In der Oberflächengewässerverordnung werden derzeit insgesamt 45 prioritäre Stoffe/Stoffgruppen sowie 5 bestimmte andere Schadstoffe/Schadstoffgruppen sowie Nitrat in Anlage 8 geregelt. 21 Stoffe/Stoffgruppen der UQN-Richtlinie sind als prioritär gefährlich eingestuft.

Die prioritären Stoffe müssen bei Eintrag gemessen werden. Überwacht wird i. d. R. der Jahresmittelwert, die ⁠Umweltqualitätsnorm⁠ wird daher JD-UQN (Jahresdurchschnitt-Umweltqualitätsnorm) abgekürzt. Für einige Schadstoffe wurde zusätzlich eine zulässige Höchstkonzentration (ZHK-UQN) zur Berücksichtigung potenziell akut toxischer Effekte festgelegt, die der höchste Messwert eines Jahres nicht überschreiten darf. Für Stoffe, die eine hohe Anreicherung innerhalb der Nahrungskette aufweisen, wurde zusätzlich eine Norm (Höchstgehalt) für Biota festgelegt.

Auch bei Überschreitung des Aktionswertes in Höhe von 50 mg Nitrat pro Liter müssen Maßnahmen ergriffen werden, um eine Verringerung der Belastung zu erreichen.

Für den chemischen Zustand gibt es zwei Einstufungen. Wenn alle Umweltqualitätsnormen eingehalten sind, ist der Zustand „gut“, ansonsten „nicht gut“.


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